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Interview mit Fluoryne (05.01.2010)

Fluoryne

Unter dem Namen FLUORYNE betreibt Falk Wehmeier, der einigen sicher eher unter dem Namen Faruk als Keyboarder der deuschen Black Metaller GEIST bekannt ist, sein eigenes Projekt. Im Dezember veröffentlichte er beim kleinen Label Lost Souls Graveyard das erste Album von FLUORYNE mit dem Titel "Dämmerung", auf welchem er mit einer höchst interessanten Variante von atmosphärisch-avantgardistischem Schwarzmetall nachhaltig auf sich aufmerksam macht. Da auch das lyrische Konzept, nämlich die Vertonung von Gedichten deutscher Expressionisten, ein nicht alltägliches ist, gibt es genug Gründe, sich mit Falk zu unterhalten, der nicht nur erfreulich ausführlich, sondern auch interessant und lesenswert auf meine Fragen antwortete.

Hallo Falk und frohes neues Jahr zunächst einmal. Das alte Jahr ging mit dem Release deines ersten FLUORYNE-Albums "Dämmerung" zu Ende. Wie sieht dein Jahresrückblick in persönlicher Hinsicht aus?

Hey Andy! Vielen Dank, auch dir die besten Wünsche für das gerade begonnene Jahr! Rückblickend war 2009 für mich im positiven Sinn ein ziemlich aufregendes Jahr, das einige faustdicke Überraschungen und viele bewegende Ereignisse bereithielt; unter anderem habe ich im Dezember meine Doktorarbeit abgeschlossen und damit dem vergangenen Jahr mein persönliches i-Tüpfelchen verliehen.

Und in musikalischer? Was hat dich – abgesehen von deiner eigenen Musik – diesbezüglich im letzten Jahr bewegt?

Oh, don’t get me started ;)… Ich bleibe mal einen Moment bei meinen eigenen Aktivitäten, denn meine Mitgliedschaft bei GEIST hat mich selbstverständlich sehr bewegt – das erste Mal seit sechs oder sieben Jahren Teil eines "echten" Bandgefüges zu sein war eine tolle Erfahrung für mich: Die Aufnahmen zu "Galeere", das ganze Drumherum, die Konzerte – das hat mich schon beeindruckt.

Aus „Konsumentensicht“ gab es natürlich auch jede Menge bewegender Musik für mich: MADDER MORTEMs "Eight Ways", CODEs "Resplendent Grotesque" und AVA INFERIs "Blood Of Bacchus" haben mich – erwartungsgemäß – schwer begeistert. Schön sind natürlich auch Veröffentlichungen, die eher unerwartet zugeschlagen und mich dann auch so schnell nicht mehr losgelassen haben – ich denke hier zum Beispiel an SEMEN DATURAs "Einsamkeit" oder NEBELKRÄHEs Eigenproduktion "entfremdet". Und dann gibt’s – wie wohl jedes Jahr – ein paar Platten, die erst deutlich nach ihrer Veröffentlichung zünden; so konnte ich mich 2009 für die beiden VIRUS-Veröffentlichungen "Carheart" und "Black Flux" erwärmen, obwohl die schon ein bisschen älter sind. Das Gleiche gilt für IHSAHNs Solo-Alben "The Adversary" und "AngL", die ich erst im letzten Jahr wirklich zu schätzen gelernt habe.

Was mich übrigens auch SEHR bewegt hat, war die "Johannes-Passion" von BACH, die ich im März in der Berliner Philharmonie sehen und hören durfte – mit Kinderchor und allem. Der Wahnsinn.

Fluoryne DämmerungDein Projekt heißt FLUORYNE. Was bedeutet dieser Name, warum hast du ihn gewählt? Und bist du schon oft darauf aufmerksam gemacht worden, dass man bei dem Namen irgendwie an Zahnpasta denken muss? ;-)

Deine Assoziation im Review ist mir selbstverständlich nicht entgangen ;) – und auch gar nicht so weit hergeholt. Der Name FLUORYNE ist recht schnell erläutert: Es handelt sich um die englische Bezeichnung für das Element Fluor (fluorine), nur dass das I gegen ein Y ausgetauscht ist. In Zahnpasta ist häufig Fluorid enthalten, was den Zahnschmelz härtet.

Warum ich mich für diesen zugegebenermaßen etwas exotischen Namen entschieden habe, gehört dann wohl eher in die Kategorie "Nerdwissen 1000" – und dürfte auch die (naheliegende?) Frage beantworten, in welchem Fach ich meine Doktorarbeit geschrieben habe: Fluor ist das neunte Element im Periodensystem und erster Vertreter der Halogene. In elementarer Form reagiert Fluor – bis auf sehr wenige Ausnahmen – mit allen Substanzen, mit denen es in Kontakt kommt. Interessanterweise besitzen die dabei entstehenden Verbindungen ganz ungewöhnliche und oft einzigartige Eigenschaften – ich nenne mal nur Teflon® (ja, das in der Bratpfanne!) als Beispiel.

Ich sehe durchaus einige Parallelen zwischen dem künstlerischen Ansatz, den ich mit FLUORYNE verfolge, und den beschriebenen Eigenschaften des Fluors und seiner Verbindungen – oder um es mal mit SATYRICONs "Prime Evil Renaissance" zu sagen: "In order to create you must destroy!"

Kommen wir auf "Dämmerung" zu sprechen. Du hast Gedichte aus der Zeit des Expressionismus vertont und dabei auch zwei Texte von Georg Trakl verwendet ("De Profundis" und "Klage"). Die Berliner Band EDEN WEINT IM GRAB hat gleich ein ganzes Album mit Trakls Texten gemacht, darunter eben auch die von Dir verwendeten. Was hast Du gedacht, als du zum ersten Mal davon gehört hast? Ich nehme mal an, du wusstest nichts davon, als du "Dämmerung" gemacht hast.

Das Album von EDEN WEINT IM GRAB ist mir natürlich nicht entgangen. Ich verehre die Lyrik Trakls schon seit vielen Jahren und bin daher schon beim Albumtitel "Der Herbst des Einsamen", der das erste Mal als Ankündigung in den News des LEGACY auftauchte, neugierig geworden. Zu diesem Zeitpunkt stand das Konzept hinter "Dämmerung" längst und ich sah auch keinen Grund, die Idee zu verwerfen, nur weil jemand anders einen ähnlichen Ansatz gewählt hat.

Eine wie auch immer geartete "Konkurrenz-Situation", wie du im Review zu "Dämmerung" ein wenig angedeutet hast, sehe ich dementsprechend in keiner Weise. Ich kenne "Der Herbst des Einsamen" noch nicht komplett – die Stücke, die ich bisher gehört habe, besitzen jedoch eher rezitativen Charakter und verfolgen damit offenbar einen ganz anderen musikalischen Ansatz als die Songs auf "Dämmerung". Nichtsdestoweniger finde ich EDEN WEINT IM GRABs Umsetzungen sehr gelungen und bin gespannt auf das komplette Album, das ich mir bei nächster Gelegenheit anhören werde.

Ganz abgesehen davon, dass mir EDEN WEINT IM GRAB scheinbar ein bisschen "zuvorgekommen" sind, ist die Idee natürlich nicht komplett neu. Es gibt zum Beispiel von DAS ICH ein Album namens "Morgue", auf dem sie Gedichte von Gottfried Benn vertont haben – auch diese Vertonungen sind zum Teil rezitativ, jedoch deutlich songorientierter als "Der Herbst des Einsamen". Ach ja, DAS ICH haben auf "Staub" auch das Gedicht "Verfall" von Georg Trakl vertont – diese finde ich jedoch nicht besonders gelungen.

FluoryneNeben Georg Trakl fanden Gedichte von Jakob van Hoddis und Alfred Lichtenstein Verwendung. Warum hast du gerade diese fünf Texte für das Album benutzt? Stehen sie in irgendeinem Zusammenhang?

Der offensichtliche Zusammen- hang ist natürlich der, dass alle genannten Dichter Vertreter des deutschen Expressionismus sind ;). Nein, im Ernst: Ich wollte mich nicht auf EINEN Dichter beschränken – auch wenn Trakl in seinem viel zu kurzen Leben (er starb 1914 im Alter von 27 Jahren - d. Verf.) so viele fantastische Gedichte geschrieben hat, dass sie für zig Alben reichen würden.

Das Konzept zu "Dämmerung" nahm erste Form mit dem Song "Morgens" an – das gleichnamige Gedicht von Jakob van Hoddis passte wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, als ich an einigen noch unkoordinierten Ideen arbeitete und etwa zur gleichen Zeit in Kurt Pinthus‘ Anthologie "Menschheitsdämmerung" las. In der Folge hielt ich die Augen offen, sobald ich halbwegs klar umrissene Ideen für neue Songs hatte; bei "Fern" hat das auch sehr gut geklappt, danach hatte ich jedoch eine Phase, in der dieser Ansatz nicht so recht funktionieren wollte.

Ich habe also an neuem Material gearbeitet, ohne dass expressionistische Lyrik bewusst als Ansatz im Hintergrund wartete – und plötzlich stand die Musik zu "Unwetter", ohne dass es mir klar war. Die Verknüpfung hat hier etwas länger gedauert, lief aber ähnlich wie bei "Morgens". Bis jetzt hatte ich also ein Gedicht von Jakob van Hoddis und zwei von Alfred Lichtenstein – den ich erst in dieser Zeit schätzen gelernt habe, vorher fehlte mir der Zugang zu seiner Lyrik. "Dämmerung" als Konzeptalbum hätte aber ohne den (mir persönlich) wichtigsten Vertreter dieser Epoche nicht funktioniert: Georg Trakl. Hier habe ich lange nach musikalischen Annäherungen gesucht und bin auch an einigen Gedichten "gescheitert", am Ende kristallisierten sich aber "De Profundis" und "Klage" heraus.

Weitere Zusammenhänge zwischen den Gedichten (auch in dieser Reihenfolge) sehe ich ganz persönlich: Das Album beginnt "Morgens" und endet mit der Zeile "…unter Sternen, dem schweigenden Antlitz der Nacht." – in Verbindung mit der ambivalenten Bedeutung des Begriffes "Dämmerung" ist das für mich durchaus ein roter Faden, der sich durch das Album zieht. Weiterhin sehe ich in "Morgens" und "Fern" so etwas wie vorsichtige Zuversicht, sogar Hoffnung – "Unwetter" dagegen macht diese Zuversicht unaufhaltsam zunichte, "De Profundis" und "Klage" (das vorletzte Gedicht, das Trakl schrieb!) sind von tiefer Verzweiflung geprägt. Hier sehe ich also so etwas wie eine Entwicklung innerhalb des Albums.

Ich selber kenne mich kaum im deutschen Expressionismus aus, habe aber ein Reclam-Heftchen mit Gedichten von Gottfried Benn, der sicher zu den bekanntesten Dichtern dieser Stilrichtung gehört. Gibt es bestimmte Gründe, warum du keine Texte von ihm verwendet hast? Die oft krassen Inhalte würden mit Black Metal ja grundsätzlich gut harmonieren.


Der entscheidende Grund ist wohl, dass ich persönlich Gottfried Benn nicht dem Expressionismus zuordne und mich in seiner Lyrik auch nicht besonders zuhause fühle. Sicher passt es zeitlich und er ist auch mit einigen Gedichten in expressionistischen Anthologien vertreten, dennoch habe ich ihn nie als Dichter dieser Epoche gesehen. Mein Sitznachbar im Deutsch-LK hat Benn mal als "Neoromantiker" bezeichnet – so weit würde ich jedoch nicht gehen.

In meinen Augen tragen seine Gedichte häufig sehr realistische Züge – die dem Leser deshalb unwirklich vorkommen, weil Benn Arzt war und daher vollkommen andere Dinge erlebt hat als viele seiner Leser. Seine Texte sind von einer Morbidität geprägt, die weitaus konkreter, greifbarer ist als ein Großteil der (sonstigen) expressionistischen Lyrik. In dieser Hinsicht wären viele von Benns Texten wohl eher etwas für Death Metal, der ja gern mit Gore-Themen aufwartet ;).

Weg von den Inhalten, hin zur Musik. Der Klargesang von Martin Wiese wird in klassischen Gesangsstimmen vorgetragen, was eine sakrale, erhabene Atmosphäre schafft. Andererseits klingt das zunächst gewöhnungsbedürftig. Warum sollte es gerade diese Art von Gesang sein?


Das kann ich gar nicht so einfach beantworten – in erster Näherung fühlte es sich für mich richtig und konsequent an, auch mit klarem Gesang zu arbeiten. Etwas präziser gesagt wollte ich "Dämmerung" nicht komplett steril klingen lassen, sondern habe von Anfang an den Spagat zwischen organisch-menschlichen Bestandteilen und diesem bestimmten "weltfremden", verlorenen Gefühl des Expressionismus angestrebt. So klingen die Gitarren in weiten Teilen sehr scharf und kalt und das Schlagzeug sehr trocken, die elektronischen Anteile und die unverzerrten Gitarren dafür teilweise sehr warm und unmittelbar. Ähnlich sieht es bei der stimmlichen Umsetzung aus: Pariah hat fantastisch kalten Kreischgesang abgeliefert, Martin hat als Kontrast den warmen, aber trotzdem weitgehend distanzierten Klargesang beigetragen, während ich die geflüsterten und gesprochenen Passagen übernommen habe. Martins Gesang haben wir auch ein wenig an den Texten orientiert, so wollten wir in "Morgens" und "De Profundis" bewusst diesen "sakralen" Klang, wie du es nennst. Dagegen ist die Schlusszeile in "Fern" sehr direkt und gar nicht erhaben, finde ich – und war auch von Anfang an so gedacht.

Black Metal an sich ist ja schon eine Musikrichtung, die für viele Metal-Hörer Grenzen überschreitet. Bei FLUORYNE fügst du dieser Musik wiederum Elemente hinzu, die für sich allein auch schon Genres darstellen (Ambient, Industrial) und überschreitest dadurch Grenzen, die vielleicht von "klassischen" Black Metal-Hörern nicht nachvollzogen werden können. Für welche Hörerschichten machst du folglich Musik?

Ich würde nicht unbedingt sagen, dass Black Metal per se Grenzen innerhalb des Metals überschreitet. In atmosphärischer Hinsicht nimmt Black Metal natürlich in gewisser Weise eine Sonderstellung ein – das macht seinen Reiz aus und sorgt dafür, dass ich mich in diesem Genre vergleichsweise "zuhause" fühle. Ich bin der Meinung, dass genrefremde Elemente auf vielfältige Weise zur Intensivierung dieser Grund-Atmosphäre beitragen können – unter anderem eben die genannten, Ambient oder Industrial. Daraus leitet sich die Beantwortung deiner eigentlichen Frage ab: FLUORYNE spricht Hörer an, deren Vorlieben in puncto Atmosphäre/Stimmung im Black Metal liegen, die aber dennoch ein offenes Ohr für andere Einflüsse haben und diese auch zu schätzen wissen, ohne gleich eine Diskussion über "trve" oder "untrve" führen zu müssen. Wenn man sich so in manchen Internetforen umschaut, könnte man fast meinen, die genannte Zielgruppe sei sehr klein oder nicht existent ;). Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es eben doch viele Menschen gibt, die über den Black Metal-Rand hinausschauen wollen – oder von außen auf den Black Metal-Teller hinauf…

Wo sind deine eigenen Grenzen im Bezug auf die Musik die du machst? Was würdest du nicht mehr machen, obwohl du es vielleicht könntest?


Auch hier ist der Begriff Atmosphäre ganz entscheidend. Ich binde nur Elemente in FLUORYNEs Musik ein, die die angestrebte Atmosphäre unterstützen – dabei gebe ich nicht viel auf irgendwelche Schubladen, so dass ich wohl kaum etwas pauschal ausschließen kann. DHG und THORNS haben bereits Industrial-Elemente in ihre Musik eingebaut; VOID haben mit  "Posthuman" ein Album veröffentlicht, das Black Metal mit ausschließlich elektronischen Beats enthält. LA RUMEUR DES CHAÎNES haben gezeigt, dass Jazz-Elemente in den Black Metal integriert werden können; MANES haben auf ihrem letzten Album "How The World Came To An End" erfolgreich Trip Hop und sogar Hip Hop in ihren Stil aufnehmen können, ohne dass die Stimmung gelitten hätte. ULVER halten seit jeher ihre ureigene dunkle Atmosphäre aufrecht und bewegen sich dabei abseits sämtlicher gängiger Genres.

Das sind natürlich alles nur Beispiele, die zeigen, dass auf diese Weise wunderbare Musik entstehen kann – dies folgt (leider?) nicht direkt aus der Erkenntnis, dass es grundsätzlich möglich ist, genrefremde Elemente zu integrieren. Lange Rede, kurzer Sinn: Ob und wie ich Stilmittel anderer Sparten verwende, entscheide ich "on the fly" – fühlt es sich atmosphärisch richtig an, ist alles gut; wirkt es deplatziert, fliegt’s raus.

Wer solche Musik macht, muss fast zwangsläufig sehr offen für verschiedenste Musikrichtungen sein. Wie weit reicht dein persönliches Spektrum der Musik, die du hörst und magst, wo liegen die extremsten Pole? Bezeichnest Du dich selber kulturell als offenen Menschen?

Ich denke, grundsätzlich verschließe ich mich fast keinem Genre, eine der wenigen Ausnahmen ist hier wohl volkstümliche Musik ;). Ich habe ja eben schon angedeutet, dass ich nicht viel von Schubladen halte – an so etwas orientiere ich mich auch nur bei ungefähren Beschreibungen. Ich versuche, in jedem Genre die Perlen zu finden, die gibt es selbst in der oft geschmähten Pop-Musik zu entdecken gibt – wenn auch seltener (das erste PETER FOX-Album ist zum Beispiel grandios, TIMBALANDs "Shock Value Pt. 1" ist auch eine solche Perle). Ich kann mich mit guter elektronischer Musik (SQUAREPUSHER, AMON TOBIN) genauso anfreunden wie mit Hip Hop (DEICHKIND), Punkrock (DIE SKEPTIKER), klassischer Musik (vor allem BACH, aber auch MAHLER oder SCHÖNBERG) und fast allen Spielarten des Metals.

Den zweiten Teil deiner Frage beantworte ich mit einem klaren Ja. Ich halte mich in kultureller Hinsicht für sehr offen, echten und dauerhaften Gefallen finde ich aber auch in allgemeinerer Hinsicht nur an wenigen Dingen. Ich halte nichts von Vorurteilen, bleibe aber lange reserviert, wenn nicht gar skeptisch. Ich setze mich aber mit allen Dingen auseinander.

FluoryneUnd noch weiter gedacht: bist du in gesellschaftlich-technologischer Hinsicht ein Mensch, der stets auf dem Stand der Dinge ist, also (übertrieben gesagt) mit dem iPhone twittert, sich über seinen persönlichen CO2-Haushalt Gedanken macht und sich ein Hybridauto kaufen will oder bist du jemand, der nach dem Motto "Früher war alles besser" mit dem altersschwachen Golf II durch die Gegend schuckelt und Photoshop für ein Fachgeschäft für Fotografen hält?

Hier sieht es ähnlich aus: Offen und fortschrittlich bin ich sicherlich, habe aber ein (für mich) gesundes Maß an Skepsis. So twittere zwar nicht mit dem iPhone (um mal auf deine Beispiele einzugehen) – was daran liegt, dass ich dieses Bedürfnis zur Statusaussage-in-140-Zeichen nicht teile und mich außerdem (bisher?) nicht für Apple-Produkte begeistern kann – mache mir aber sehr wohl Gedanken über meinen CO2-Haushalt; Letzteres wiederum liegt darin begründet, dass ich dem Konzept der Nachhaltigkeit eine gewisse Bedeutung zumesse. Für ein Hybridauto reicht’s finanziell momentan leider nicht, aber eine Option wäre es sicherlich.

Ich würde sagen, ich stehe Neuerungen so lange kritisch gegenüber, bis sich mir gute Gründe für die Integration dieser Neuerungen auftun – dazu muss ich mich natürlich mit diesen Dingen beschäftigen, was ich so gut es geht versuche.

Denk mal bitte an die heutige Medienlandschaft: was würdest du verändern, wenn du ohne Einschränkung könntest?

Etwas, das mir spontan einfällt, ist, dass ich so etwas wie einseitige Berichterstattung abschaffen würde – sei sie absichtlich oder nicht: Viele Journalisten übernehmen Aussagen von Experten weitgehend unreflektiert, weil sie selbst zu wenig Expertise in ihrem Ressort besitzen. Ich würde mir wünschen, dass Journalisten immer auch selbst etwas von dem verstehen, was sie ihren Rezipienten vermitteln. Das würde vielen Menschen eine Menge Ärger ersparen.

Hast du auch manchmal den Eindruck, dass die Menschen mit Hilfe der Massenmedien davon abgehalten werden sollen, zu viel nachzudenken und zu hinterfragen?

Ich glaube nicht, dass die Ursache-Wirkungs-Beziehung so einseitig ist – was wären diese Medien ohne den entsprechenden Bedarf? Ich denke (und erlebe auch immer wieder), dass viele Menschen diese Verantwortung – selbst zu denken, selbst kritisch zu hinterfragen – nur allzu gern abgeben. Damit bereiten sie natürlich den Nährboden für Medien, die vereinfachen und auf diese Weise kurze, knappe Antworten geben können. Diese wiederum sind unvollständig, mitunter einfach falsch und lassen in den meisten Fällen eine plausible Begründung vermissen. Vielen Menschen reichen aber solche Antworten – was wären BILD und Bibel ohne ihre Anhänger?

Und in diesem Zusammenhang: hast du dich gegen die "Schweinegrippe" impfen lassen? Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

Nein, ich habe mich nicht gegen die "Schweinegrippe" impfen lassen. Die meisten Schutzimpfungen sind nichts anderes als gezielte Infektionen mit harmloseren Erregern (man denke an Windpocken- oder Masern-Parties, die dafür sorgen sollen, dass die Kinder nach ihrer Erkrankung immun sind – denn im Erwachsenenalter bestehen bei einer Infektion größere Risiken); der Körper muss also bei einer Impfung mit einer Infektion fertig werden. Hinter den vielverwendeten, aber kaum verstandenen Begriffen "Pandemie" und "Epidemie" verbergen sich Zahlen, die im Vergleich zur alljährlichen "normalen" Influenza fast niedlich sind. Sicher geht von dem Erreger H1N1 eine gewisse Gefahr aus, der bisherige Verlauf dieser "Pandemie" lässt mir aber eine Impfung gegen die "normale" Grippe sinnvoller erscheinen.

Zum Ende hin möchte ich den Kreis schließen und den Gegensatz zur ersten Frage aufwerfen: was wünschst du dir für das gerade begonnene Jahr 2010?

Es wäre fantastisch, wenn ich 2010 in vielerlei Hinsicht an 2009 anknüpfen könnte. Ich hoffe, dass ich Zeit und Muße finde, an neuem FLUORYNE-Material zu arbeiten (oder das alte – sprich eine nie veröffentlichte Demo-CD mit dem Titel „Dynamics Of Extinction“ – endlich vernünftig aufzunehmen), werde aber beruflich Prioritäten setzen müssen. Hoffentlich lohnt sich das ;)…

Danke fürs Beantworten meiner Fragen, die letzten Worte gehören dir.


Ich danke dir recht herzlich für die sehr interessanten Fragen und deine Unterstützung!

Andreas Schulz (Info)
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